Müllerskind: das Baby vom Herzog und seiner Frau

Man nehme: Eine Idee, um Arbeit und Familie zu verbinden. Einen leerstehenden Laden in guter Lage um die Ecke. Eine Frau, die den Blick fürs Wesentliche hat und begnadet backen kann. Einen Mann, der sich sowohl ums Kind kümmert als auch einen Tresen baut. Dazu viel Schweiß, Mühe, ein paar Tränen, helfende Hände, Engagement und eine Prise Glück. Nach einem guten halben Jahr heißt es dann: das Müllerskind ist angerichtet.

17Ein Donnerstagmorgen Ende März. Schon wieder taumeln Schneeflocken aus dem steingrauen Himmel, ein paar Sonnenstrahlen fallen über den Klarensee. Aus der Wintertennishalle tönt das leichte Plopp-plopp der aufprallenden Bälle.

Im Bosepark sind ein paar Jogger und Hundehalter unterwegs. Auf der Kopfsteinspflasterstraße sind nur wenige Autos unterwegs. Dörfliche Langsamkeit.

Wer ein Café sucht oder eine Bäckerei, ging bisher zum Tempelhofer Damm oder in die Manteuffelstraße. Doch seit Februar ist alles anders. Damals, an einem ähnlich kalten Tag, eröffneten Pauline Müller und Roy Herzog das Müllerskind in der Parkstraße 11.

Zeit zum Reden

10„Ick wohn ja schon seit 65 hier. Die janzen Nachbarn, die 63 bei unserer Hochzeit dabei waren, det war das Jahr, als Kennedy erschossen wurde, die Nachbarn sind alle nicht mehr da. Ick kenn niemanden mehr hier.“ Die Frau aus dem Hinterhaus bestellt für Ostersamstag ihre Brötchen.

„Wissense, hier schmecken die Schrippen noch richtig nach Schrippen. Könnse mir die dann bis Mittach zurücklegen?“ Hinter dem Tresen notiert Roy Herzog die Bestellung.

Mit dem Dreitagebart, seiner schlaksigen Statur und dem dunklen Outfit wirkt der 32-Jährige eher wie ein Prenzlberger denn gestandener Tempelhofer. Doch der Eindruck täuscht. Seit mehr als zehn Jahren leben der Regisseur und seine Frau, die Designerin Pauline Müller schon hier im Kiez. Hier fühlen sie sich wohl, hier wollen sie nicht nur wohnen, sondern auch arbeiten.

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Die Idee zum eigenen Laden sei vor zweieinhalb Jahren zum ersten Mal aufgetaucht. „Damals sind wir mit dem Kinderwagen durch Tempelhof gestiefelt und wollten einen Kaffee to go haben. Und hier um die Ecke fehlte so was.“

Als im August vergangenen Jahres das zu-vermieten-Schild im Fenster des ehemaligen Zeitungsladen hing, war Pauline und Roy klar, dass sie etwas Eigenes machen wollten. Einen Treffpunkt für die Nachbarn, einen Ort zum Reden, einen Kiezladen, um ins Gespräch zu kommen. Und wo geht das besser als bei Kaffee und Kuchen.

Treffpunkt Wohnzimmer

12Das Müllerskind ist klein. Gerade mal 50 Quadratmeter hat der große Raum, der in Gast- und Küchenbereich aufgeteilt ist. Schon aus Platzgründen sitzt man nah beieinander.

Rund 30 Leute haben hier Platz, wenn es voll ist. Fast ist es wie im Wohnzimmer bei Freunden.

Die Tische, mit grüner Tafelfolie bezogen, stammen aus einer ostdeutschen Schiffswerft. Standen dort als Pausentisch in der Kantine. „Auch die Bänke, die haben wir dann ein bisschen aufgemöbelt, sauber gemacht und lackiert.“ Das übrige Mobiliar haben Müller-Herzogs fast alles selbst gebaut.

„Das ist Learning by Doing. Ich habe vorher noch keine Wand gebaut und keinen Tresen. Und kein Regal. Das ist alles hier entstanden.“

Wenig später kommt Pauline. Gerade hat sie die dreijährige Tochter in die Tagespflege gebracht. Jetzt steht Backen auf dem Programm. Wer sie sieht, weiß, dass sie nicht nur die Namensgeberin der homemade Bakery ist, sondern auch die Seele. Pauline strahlt – Ruhe aus und eine Botschaft.

04Man sieht es an den liebevollen Kleinigkeiten: der kleine Vogel an der Wand, an dem eine Stofftasche hängt. Die lindgrünen Lampe über jedem Tisch. Die weißen Fresien in der Glasvase. Die Milchkanne auf dem Schemel, der kleine Puppentisch.

Pauline hält Gastgeberin die Fäden und arbeitet daran, „dass Jung und Alt einfach zusammenkommen.“ Zu ihrer Philosophie gehört auch, mit den Gästen zu  reden und sie untereinander zum Reden zu bringen.

„Die Leute begegnen sich hier. Die, die sich immer schon auf der Straße gesehen haben, aber nie ins Gespräch kamen, die kommen hier ins Gespräch.“ Und sie kommen auch deswegen ins Gespräch, weil Herzog und Müller bewusst auf Bedienung verzichten.

„Dann bitte ich den einen Gast schon mal, den Kaffee für den anderen Gast mitzunehmen. Die meisten reagieren da ganz toll und kommen so ins Gespräch. Ich glaube, so ein Laden fehlt hier. Und ich glaube, danach sehnen sich die Leute auch.“

Sehen, wie es is(s)t

13Gleich links an der Wand, über der gemütlichen Sitzecke am Fenster hängt das farbenfrohe Rezept für die Blaubeertarte. Das könnte vielleicht doch ein Problem sein, denn die Auswahl an Kuchen und Tartes ist enorm: Zitronen-Mandel-Tarte, Aprikosentarte, Käsekuchen, Quiches, Brownies.

Jeder kann sehen, dass Pauline große Lust und Freude hat, Essen zuzubereiten.Hier, direkt vor der Augen der Kunden, rührt sie die Zutaten zusammen, rührt, knetet, lässt den Teig in die Form rutschen, verziert, modelliert Gebäck. Der Geruch von zerlassener Butter, von Mürbeteig und frischen Früchten liegt in der Luft. Das würzige Aroma einer frisch gebackenen Quiche macht Appetit.

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Hier, in Sichtweite auch zu den hinteren Tischen, läuft der Backofen auf Hochtouren.

Auch das ist Teil des Müllerskind-Konzepts: „Man soll sehen, wo das Essen herkommt und wie es gemacht wird.“ Das Einzige, was nicht selbst hergestellt wird, sind Brot und Brötchen. Die werden jeden Morgen von der Neuköllner Bäckerei Endorphina angeliefert.

Spagat zwischen Familie und Kaffee

Morgens früh kommen die Nachbarn um Brötchen zu holen. Viele nutzen ihre Mittagspause für eine Auszeit im Müllerskind. Nach der Schule kommen Schülerinnen und Schüler auf einen Kaffee vorbei. Und wenn am Nachmittag die Kitas schließen, sind es vor allem Mütter mit Kindern, die hier für ein Stündchen abschalten. „Wir haben auch Weiter-weg-Gäste, die nur beruflich hier zu tun haben, aber jedes Wochenende zum Frühstück kommen.“

11Auch wenn die beiden viele Jahre in der Gastronomie gearbeitet haben, ist ein eigener Laden eine große Herausforderung. Und hat seinen Preis. Seit der Eröffnung im Februar ist jeden Tag zwischen neun und 18 Uhr geöffnet. Nur am Wochenende geht es erst um zehn Uhr los.

„Wir müssen gucken, wie wir das Café mit unserer Familie einbauen“, meint Pauline. „Ich kann nicht jeden Tag 24 Stunden arbeiten. Natürlich hat man auch ein bisschen Angst, ob wir das Richtige machen. Letzten Endes sind wir eine Familie. Und es muss uns allen gut gehen.“ Deswegen überlegen die beiden jetzt, die Öffnungszeiten etwas einzuschränken. Dabei vertraut die 37-Jährige darauf, dass ihre Gäste treu bleiben. „Das erlebe ich ganz oft, dass sie sagen, oh Mann, so was Tolles, und das hier.“

20Weit ab vom Tempelhofer Damm, schließt das Müllerskind eine Lücke im Tempelhofer Leben. Egal, ob an sieben oder fünf Tagen in der Woche.

Selbst in der kalten Jahreszeit kann man mit einer dicken Decke und einem warmen Getränk aus dem Vorgarten des Cafés den Enten zuschauen, die über den zugefrorenen Klarensee watscheln. Und wie alle auf den Frühling hoffen.

 

Müllerskind. Homemade Bakery. Parkstraße 11, 12103 Tempelhof.

Fotos: © Katrin Schwahlen 2013

Kategorie: Wirtschaft + Wunder | Schlagwort: , , , , , | Permalink.

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